Der Sommer im Weinberg ist vorüber, die Winzer bereiten die Weinlese vor. Zu diesem so entscheidenden Ereignis nimmt uns Weinfreund Sven Reinbold noch einmal mit in den Weinberg.
Seit dem Winter verfolgen wir die Arbeiten im Weinberg und ich habe auch über die Arbeiten im Frühjahr und die Entwicklungen im Sommer berichtet. Nun, im Herbst, schließt sich der Jahreskreislauf: Die Trauben werden geerntet und treten endlich den Weg an, um im Keller zu wunderbaren Wein zu werden. Ach, wenn es nur mal so einfach wäre. Gerade bei der Weinlese sind Erfahrung und Expertise gefordert, wenn man sich beim letzten Akt im Weinberg nicht um die Früchte seiner Arbeit bringen will. Und das richtige Timing.
Allgemeinhin findet die Weinlese auf der Nordhalbkugel im September und Oktober statt. Auf der südlichen Erdhalbkugel geschieht dies in den Monaten März und April. Doch selbst auf diese grobe Terminierung ist kein Verlass mehr. Gerade das aktuelle Jahr 2018 führt uns vor Augen, wie ein heißer, trockener Sommer selbst in Deutschland die Weinlese teils schon im August starten lässt.

Wann der richtige Zeitpunkt zur Weinlese ist, entscheidet jeder Winzer auf den Tag ganz individuell nach seinem Qualitätsbestreben.
Auf der Suche nach dem optimalen Lesezeitpunkt
Die Qualität eines Weines liegt im Wesentlichen in der Qualität der Trauben begründet. Um so mehr gilt es, auf die Trauben selbst zu achten, wenn man den besten Zeitpunkt für die Ernte bestimmt. Deshalb messen die Winzer frühzeitig und regelmäßig die Zucker- und Säurewerte, probieren die Beeren, um die aromatische Entwicklung beurteilen zu können.
Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, da die Trauben so reif sind, dass eine Lese möglich ist. Ab jetzt geht der Winzer eine Wette mit dem Wetter ein. Soll er die Lese verschieben, um den Reben noch mehr Sonne zu gönnen? Damit aber riskieren, dass der Regen ihm den Wein buchstäblich verwässert? Oder müssen die Trauben unbedingt geerntet werden, da noch mehr Sonne zu mehr Zucker und somit zu mehr Alkohol führt und die Säure gegebenenfalls wieder schwindet?
Tatsächlich gibt in südlichen Weinregionen mit heißen Sommern oftmals der Säurewert das entscheidende Kriterium ab. In Deutschland ist es dagegen der Zuckergehalt, auf den die Winzer schauen. Schließlich entscheidet das in Grad Oechsle gemessene Mostgewicht mit darüber, ob ein Kabinett, eine Aus-, Spät- oder gar Beerenlese daraus entsteht. Bei den letztgenannten deutschen Qualitätsbezeichnungen steckt die „Lese“ sogar im Namen – hierzu auch der Magazinbeitrag „Was bedeutet Qualität beim Wein?“. Somit spielt auch die angestrebte Qualitätsstufe beim Festlegen des Lesetermins eine Rolle.

Der Zeitpunkt der Weinlese hängt aber auch vom individuellen Reifeprozess der angebauten Rebsorte ab.
Rebsorte, Lage und Art des Weines entscheiden mit
Gleiches gilt auch für die Art des Weines, der hergestellt wird. Da beispielsweise bei der Herstellung von Sekt, Champagner und anderen Schaumweinen genügend Säure für gute Qualitäten unverzichtbar ist, werden die Trauben früher gelesen als jene für Stilweine. Bei Süß- oder Dessert-Weinen kommt dagegen nur eine späte Lese in Frage, um möglichst hohe Zuckerwerte zu erzielen.
Nicht zuletzt hat auch jede Rebsorte ihren eigenen Reifeprozess und damit Lesezeitpunkt. Der Name des spanischen Tempranillo wie auch des italienischen Primitivo leitet sich beispielsweise von der Eigenschaft ab, früher oder als erstes reif zu werden. Weingüter, die mehrere Rebsorten kultivieren, haben diese Unterschiede bei der Planung zu berücksichtigen. Und um es noch etwas vertrackter zu machen, selbstverständlich redet auch die Lage der Rebflächen ein Wörtchen mit. Die Ausrichtung auf die Sonne, die Höhe, aber auch der Wind … all diese Faktoren schaffen ein Mikroklima, das die Trauben dort schneller oder langsamer reifen lässt als im Weingarten nebenan.
Aber noch einmal – das Ganze ist eine Wette auf gutes Wetter. Nasses Traubenmaterial kann nicht gelesen werden und die Feuchtigkeit befördert Fäule und Pilzbefall. Zuviel Regen kann die Beeren sogar platzen lassen. Der Einsatz bei dieser Wette lautet also für den Winzer Qualitätsverlust oder Schlimmeres.

Erfahren Helfer sind bei der Weinlese unverzichtbar, wenn der Winzer nicht mit einem Vollernter arbeitet.
Vollernter oder ganze Handarbeit bei der Weinlese
Nun ist endlich soweit, es geht in den Weinberg zur Lese. Sie erfolgt entweder per Hand oder maschinell mit dem sogenannten Vollernter. Noch so eine Entscheidung, die mit Qualität, aber auch mit Geld zu tun hat. Am Einsatz einer modernen Vollernte-Maschine gibt es prinzipiell nichts auszusetzen. Die Trauben werden durch Schläge auf das Blätterdach abgeschüttelt, von Förderbändern aufgefangen und in einen Sammelbehälter transportiert. Und das macht die Maschine um ein vielfaches schneller als der per Hand mit Schere oder Messer operierende Lesehelfer. Zudem kann die Maschine länger am Stück arbeiten und ist stets verfügbar. Dagegen fällt es Weingütern oft schwer, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute an den Start zu bringen.
Ein klarer Vorteil der händischen Weinlese ist die bereits beim Schneiden vorgenommen Auswahl. Während die Maschine „blind“ erntet, kann der Lesehelfer schlechte Traube direkt aussortieren oder er lässt unreife Trauben einfach hängen. Auch der Anteil an Blättern und Stielen fällt deutlich geringer aus. Die händische Lese macht die sogenannte „Selektion“ möglich. Das meint, es werden mehrere Lesedurchgänge im Weingarten vorgenommen, um immer nur die besten Trauben zu ernten. So lässt man in Deutschland einzelne Trauben hängen, um zum Beispiel auf eine Trockenbeerenauslese oder einen Eiswein zu spekulieren. In Apulien braucht es einen zweiten Lesedurchgang, um einen echten Doppio Passo herzustellen – auch hierzu gibt es mehr im Weinfreunde Magazin.

Wichtig bei der Weinlese ist auch der sorgfältige Umgang der Trauben sowie behutsame Transport und besonders bei Spitzenweinen eine weitere Selektion bevor das Rebmaterial in den Keller kommt.
Keep Cool: Behutsamer Umgang mit dem Lesegut
Damit die Trauben nun unversehrt in den Keller kommen, sind zu jeder Zeit Behutsamkeit und Umsicht gefragt. Die Transportbehälter sollten beispielsweise möglichst flach und nicht zu groß sein, damit die Trauben nicht das eigene Gewicht drückt. Tritt der Saft einmal aus der Beere, beginnt sie zu oxidieren und damit geschmacklich abzubauen.
Der behutsame Umgang mit den Trauben verlangt, dass die Lese nicht bei zu hohen Temperaturen erfolgt. Also entweder früh am Morgen, am später Nachmittag und in heißen Weinbaugebieten sogar in der Nacht. Dort werden die gelesenen Trauben auf dem Weg zum Keller – insbesondere bei längeren Strecken – manchmal auch gekühlt.
Angekommen auf dem Weingut selektiert man insbesondere bei Spitzenweinen das Rebmaterial noch einmal von Hand, bevor es in den Keller geht und der Most in Tanks oder Fässern auf die alkoholische Gärung wartet. Damit ist die Lese beendet, doch das große Abenteuer Wein geht erst richtig los. Von nun an sind es Kellermeister und Önologe, die sagen wo es langgeht.