Wie entstehen neue Rebsorten?

Am 20. März 2024 · von Sven Reinbold

Neue Rebsorten entstehen ganz natürlich durch wilde Kreuzungen verschiedener Sorten, aber auch durch Mutationen einer Rebsorte. Doch längst hat der Mensch das Züchten neuer Rebsorten übernommen, um gezielt robustere, aromatisch attraktive Reben zu erhalten – auch angesichts des Klimawandels.

Klingt simpel, ist es aber nicht. Kilian S. aus Marburg begibt sich unter die Ampelografen und will wissen, wie neue Rebsorten für Weine entstehen. Wir haben gleich zwei Antworten für ihn parat – eine wilde und eine ganz zivilisierte. Unser Blick ins Genlabor von Mutter Natur und auf die Arbeit einer Rebzuchtanstalt.

Mutationen und wilde Kreuzungen: Sex im Weinberg

Bevor wir auf das Züchten von Rebsorten modernen Zuschnitts eingehen, gilt es, sich vor Augen zu führen, wie fruchtbar Vitis vinifera im natürlichen Umfeld ist. Denn in Hinblick auf Vermehrung und Vererbung ist die Weinrebe gewissermaßen „offen für alles“. Die verschiedenen Wildreben in einer Region pflanzen nämlich sich nicht nur sortenrein fort, sondern kreuzen sich auch mit anderen Reben oder entwickeln mit der Zeit Mutationen, die neue Eigenschaften der Traube hervorbringen. Dies alles ohne Einfluss des Menschen.

Mit dem Eingreifen des Menschen gewinnt das zufällige Spiel der Natur eine Dimension der Absicht. So entsteht der Spätburgunder oder Pinot Noir wohl durch die bewusste Kreuzung mit einer Wildrebe, weil die Weinbauern vor rund 2000 Jahren bereits auf der Suche nach der noch besseren Rebe, den Trauben mit noch mehr Qualität und Robustheit waren. Ebenso bezeichnend ist, dass der heutzutage so beliebte Grauburgunder wiederum eine Mutation des Spätburgunders ist. Bis ins 18. Jahrhundert hinein zeigt der wilde Einfluss der Weinreben seine Wirkung.

Einzug der Wissenschaft: moderne Kreuzungen von Weinreben

Der Zeitpunkt der Reife, die Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten, die Höhe des Ertrags und die Besonderheiten der Aromatik: die gefragten Eigenschaften einer Rebsorte lassen sich gut beschreiben. In jüngerer Zeit gesellt sich die Klimaverträglichkeit zu den Merkmalen, die für neue Züchtungen in den Blick geraten. Moderne Wissenschaft versucht letztlich, die besten Eigenschaften zweier Rebsorten durch eine Kreuzung zusammenzubringen. Während wir autochthone Reben als echten Ausdruck von Regionalität im Glas schätzen, sucht der Rebzüchter in ihnen das Potential für eine neue Sorte.

Bekannte Beispiele für neue Rebsorten, die aus wissenschaftlicher Anstrengung entstehen, sind die Scheurebe, der Müller-Thurgau oder Rivaner, aber auch Zweigelt und Marselan. Hermann Müller kreuzt 1882 in der Forschungsanstalt Geisenheim Riesling und Silvaner, um eine neue Sorte zu kreieren. Mit Bezug auf die Heimat des schweizerischen Forschers tauft man die neue Rebsorte Müller-Thurgau. Mittlerweile wissen wir, dass es kein Silvaner war, der mit dem Riesling verkuppelt wurde, sondern die weniger bekannte Sorte Madeleine Royal. Heute ist Müller-Thurgau auch unter dem Namen Rivaner bekannt, um das zwischenzeitlich nicht mehr allzu gute Image der Weine aus dieser Rebsorte zu verschleiern.

Weiterverarbeitete Trauben

Aromatische Evolution: Frische Trauben in der Verarbeitung – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu neuen Rebsorten.

Klimawandel & PIWI: Inspiration für neue Rebsorten

Auch über die Scheurebe, die 1916 als Sämling 88 in der Landesanstalt für Rebzüchtung in Alzey das Licht der Weinwelt erblickte, lässt sich solch eine Geschichte erzählen. Oder über den Zweigelt, der 1922 von Fritz Zweigelt an der Weinbauschule Klosterneuburg in Österreich aus St. Laurent und Blaufränkisch aka Lemberger gekreuzt wurde. Oder über den Marselan aus Südfrankreich, der 1961 aus Cabernet Sauvignon und Grenache entsteht.

Neuzüchtungen verfolgen in den vergangenen Dekaden mehr und mehr ökologisch nachhaltige Ziele. So rückt bei den sogenannten PIWI, den pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, stärker die Robustheit der Reben in den Vordergrund. Denn weniger Krankheiten und Schädlinge im Weinberg machen auch weniger Pflanzenschutzmittel notwendig, was dem Endprodukt Wein nur guttun kann. Zunehmend beweisen die PIWI-Rebsorten aber auch angesichts des Klimawandels ihre Vorzüge.

Neue Rebsorten: langer Atem vonnöten

Neue Rebsorten zu kreuzen, ist ein mühsames Geschäft. Rein mechanisch betrachtet, muss dafür eine „Mutterrebe“ mit dem Pollen des „Vaters“ bestäubt werden. Aus den Beeren, die dann entstehen, verwendet man die Kerne, um Sämlinge anzusetzen. Aus diesen neuen Pflanzen müssen die besten ausgewählt werden, um die Neuzüchtung voranzutreiben. Das kann schon mal Jahre dauern, von der anschließenden administrativen Anerkennung als offizielle Rebsorte einer Region ganz zu schweigen.

Die bekannte PIWI-Sorte Regent ist als Neuzüchtung bereits 1967 registriert. Bis sie aber auch als Rebsorte für deutsche Weine zugelassen wird, vergehen noch einmal 28 Jahre, denn erst seit 1995 kennen wir den Regent ganz offiziell auf dem Etikett. Doch gerade der Klimawandel stellt die Frage, ob die Anerkennung einer neuen Rebsorte nicht schneller vonstattengehen müsste. Denn dass auch in Zukunft neue Rebsorten entstehen, ist wohl ohne Zweifel.

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