Trockenbeerenauslese – oder auch: der süße Schweiß der Engel
Am 3. Juni 2025 · von Sven ReinboldKürzlich haben wir uns hier schon mit dem Begriff Beerenauslese befasst und dabei klären können, dass es sich um Qualitätsweine handelt, die aus überreifen Trauben erzeugt und stets süß ausgebaut werden. Und was ist jetzt eine Trockenbeerenauslese? Entwarnung: Der Unterschied ist nicht allzu groß, aber allemal wert, näher beleuchtet zu werden.
Vorangestellt: Mit der Trockenbeerenauslese, kurz „TBA“, ist die höchste Prädikatsstufe für Süßweine in Deutschland und Österreich bezeichnet! Nicht zuletzt die so klassifizierten Weine haben zum großen Ansehen deutscher Winzer beigetragen, die sich auf diese sehr besondere Spielart des Weinbaus verstehen. Namen wie Egon Müller oder Müller-Catoir stehen unter Weinkennern auf der ganzen Welt für vinophile Spitzenleistung – made in Germany. Von einem deutschen Kulturgut zu sprechen, ist darum keine Übertreibung.
Auslese, Spätlese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese – die Unterschiede
Nach Kabinett, Spätlese, Auslese und Beerenauslese ist mit der Trockenbeerenauslese der fünfte und höchste Grad der Traubenreife indiziert, was gleichbedeutend damit ist, dass die Trauben für die TBA länger als alle anderen am Rebstock hängen. Sie werden demzufolge überreif geerntet und sind darum zumeist schon von der besagten Edelfäule, namens Botrytis cinerea befallen. Der andernorts gefürchtete, in diesem Fall aber willkommene Schimmelpilz gefällt sich darin, die Beerenhaut durchlässig zu machen und der Frucht das Wasser zu entziehen. In der Folge erlangen die Beeren einen hohen Zuckergehalt und damit ihre enorm konzentrierte Süße. Bei der Bestimmung des Zuckergehalts ist das sogenannte Mostgewicht der maßgebliche Indikator und Grad Oechsle die Währung. 160 Oechsle muss die deutsche Trockenbeerenauslese erreichen, in Österreich kommt sie mit 156 hin. Zum weiteren Vergleich: Für die Beerenauslese sind 125 und für Spätlesen bzw. Auslesen zwischen 85 und 105 Oechsle – je nach Region und Rebsorte – vorgeschrieben. Insoweit es also um Süße als Kriterium geht, was bei Süßweinen keineswegs abwegig erscheint, bildet die TBA somit nicht nur die Spitze der Prädikatspyramide, sondern auch den Gipfel der Genüsse.
Das Geheimnis der Trockenbeerenauslese – strengste Selektion
Der guten Ordnung halber sei festgestellt, dass die deutschen Winzer auch in den unteren Rängen der Süßwein-Klassifizierung großartige Qualitäten erzielen. Im Falle der Beerenauslese werden im Übrigen ebenso edelfaule Trauben vinifiziert – aber nur zum kleineren Teil und nicht ganz überwiegend, wie bei der Trockenbeerenauslese. Dieser kleine, aber feine Unterschied wirkt sich schon im Weinberg aus. Die Lese von Hand, man müsste streng genommen sagen, mit den Fingern, oft sogar unter Hinzunahme einer Pinzette, ist schon bei der Beerenauslese unerlässlich – bei Trockenbeerenauslese jedoch nochmals aufwendiger. Denn schließlich sollen für die TBA ganz überwiegend jene Trauben bzw. Beeren geerntet werden, die tatsächlich Botrytis-Befall aufweisen. Das auf diesem Wege mit größter Präzision gewonnene Lesegut liefert im Vergleich zu dem aus anderen Reifestufen nur äußerst geringe Mengen Wein. Die Trockenbeerenauslese wird deshalb häufig und passend als „Nektar“ beschrieben, oder etwas prosaischer auch als „süßer Schweiß der Engel“ gerühmt. Eine weitere Eigenschaft der deutschen TBA: Sie zeichnet sich durch einen sehr geringen Alkoholgehalt aus, zumeist liegt dieser im Spektrum zwischen nur fünf und acht Prozent.

Für die Trockenbeerenauslese werden überreife, mit Botrytis Cinerea befallene Trauben verwendet.
Die Botrytis als Nutznießer des Klimawandels
Entscheidend für die Ausbildung der Botrytis, mithin für die Vinifizierung der Trockenbeerenauslese, ist das klimatische Wechselspiel zwischen feuchtem Morgennebel, gemäßigten Temperaturen im gesamten Erntezyklus und speziell mildem Herbstwetter. Auch eine stetige Belüftung des Terroirs ist bedeutend, denn diese verhindert den Befall mit dem unerwünschten Grauschimmel, der – kontraproduktiv – nicht Feuchtigkeit entzieht, sondern zusätzlich spendet. Somit wundert es kaum, dass die Weinberge für Trockenbeerenauslesen zumeist in unmittelbarer Nähe zu den Flüssen, Rhein, Mosel, Saar und Ruwer zu finden sind. Als Folge des Klimawandels, der auch in den besagten Weinbaugebieten bereits spürbare Folgen hinterlässt, ist der Anteil edelfauler an überreifen Trauben in den zurückliegenden Jahren konstant gestiegen – mit positiven Auswirkungen auf die TBA-Konjunktur. Mit den zuvor genannten Weinbauregionen, in denen die deutsche Trockenbeerenauslese ihre große Tradition begründet hat, erklären sich auch die Rebsorten, die sich bevorzugt im süßen Nektar wiederfinden. Ganz zuvorderst und wenig erstaunlich kommt dem ohnehin ruhmreichen deutschen Riesling die Hauptrolle zu, gefolgt vom Gewürztraminer und auch aus der bisweilen belächelten Scheurebe können großartige Trockenbeerenauslesen entstehen.
Die Welt der Trockenbeerenauslese im Glas
Trockenbeerenauslesen, überhaupt Süßweine, liegen nicht jedem und auch keinesfalls im Trend. Dennoch stellt der goldgelbe, häufig ins Bernsteinfarbene tendierende Nektar eine überaus faszinierende Facette in der reichhaltigen Tradition des Weinbaus dar – und trotzt beharrlich dem Zeitgeist. Mit ihrer ungeheuren Intensität, dem Wechselspiel zwischen natursüßer Aromatik und fein geschliffener Säure bieten Trockenbeerenauslesen ein einzigartiges Geschmackserlebnis. Die allerbesten unter ihnen lassen sich bis zu 100 Jahre lagern, geben also ausreichend Zeit, auf den passenden Genussmoment zu warten. Natürlich brillieren sie pur, als Aperitif wie auch als Digestif. Doch fast wichtiger ist heute ihre Rolle als Begleiter zu ausgewählten Speisen, ganz voran zur nicht minder mythischen Foie Gras oder zu einem edlen Blauschimmelkäse. Wer sich der geheimnisvollen Welt der Trockenbeerenauslese auf sehr zuträglichem Niveau nähern möchte, findet beim VDP-Weingut Müller-Catoir an der Pfälzischen Weinstraße eine perfekte Adresse. Der mit 100 Suckling-Punkten bedachte Herzog Rieslaner Erste Lage Trockenbeerenauslese 2003 ist mit dem Gütesiegel „Weinkonzentrat für die Ewigkeit“ bedacht – und ganz nebenher auch noch Bio!