James Suckling zählt seit Jahrzehnten zu den meistgehörten Stimmen der internationalen Weinwelt. Das Forbes Magazin nennt den polyglotten Kalifornier inzwischen sogar den einflussreichsten Weinexperten überhaupt. Unser Weinfreund Sven Reinbold meint, es sei darum höchste Zeit, dem faszinierenden Lebensweg des James Suckling einmal gründlich nachzugehen.
Natürlich sind auch Meinungen zu vernehmen, die den Wine Advocate auch ohne dessen Gründer Robert Parker weiter auf der Pole Position sehen – oder aber beide Instanzen mehr oder weniger auf Augenhöhe. Suckling- oder Parker-Punkte? Der Vergleich hat etwas von Messi vs. Ronaldo oder auch Bordeaux vs. Burgund. Er führt zu keinem klaren Ergebnis, aber er lohnt sich allemal, denn durch ihn werden nicht nur viele Gemeinsamkeiten deutlich, sondern auch einige Unterschiede. Auch wir werden dem andauernden Zweikampf um die vinophile Meinungshoheit noch Beachtung schenken, doch wollen wir zunächst in das Leben von James Suckling eintauchen.
Der junge James Suckling entdeckt den Wein
Der Säugling James Cameron Suckling erblickt am 29. September 1958 das Licht der Welt dort, wo die Sonne besonders ausdauernd auf den Planeten herabscheint: in Los Angeles. Zwanzig Jahre später hat sich der junge Mann für den Journalismus entschieden. Noch während des Studiums nimmt Suckling eine Anstellung als Redakteur bei einem Lokalblatt in Wisconsin an und kümmert sich dort als Mädchen-für-alles um alles, was anfällt. Zu diesem Zeitpunkt hat Vater Suckling bereits damit begonnen, seinen Sohn an den Genuss von hochwertigen Weinen heranzuführen, die im elterlichen Keller reichhaltig bevorratet werden – allen voran schätzt Suckling Senior edle Tropfen aus Frankreich.
Schicksalhafte Fügung: Start beim Wine Spectator
1981 sucht Marvin R. Shanken, Herausgeber eines Fachjournals für Wein, einen Redaktionsassistenten per Stellenanzeige und findet ihn im inzwischen weinbegeisterten Nachwuchsjournalisten James Suckling. 800 Abonnenten zählt der ambitionierte, aber noch kaum wahrgenommene Wine Spectator zu diesem Zeitpunkt, dessen Redaktion ein Jahr später nach San Diego umzieht. In den Folgejahren arbeitet sich Autodidakt Suckling an ungezählten Weinbesprechungen ab und entfaltet dabei außergewöhnliches Talent, aus dem sich schon bald außergewöhnliches Können geformt hat. Der Karriereweg ist damit vorgezeichnet und führt folgerichtig auf den Stuhl des Chefredakteurs. Die Auflage des Wine Spectator hat sich währenddessen vervielfältigt und misst sich inzwischen mit dem Konkurrenten The Wine Advocate, der von einem gewissen Robert Parker geführt wird.
Bordeaux-Blindverkostungen und die Entdeckung der italienischen Weinwelt
Längst hat sich Suckling neben Weinbeschreibungen und -kritiken auch mit der von Parker eingeführten Verkostungsart der sogenannten Blindverkostung einen Namen gemacht, als der aufstrebende Kalifornier 1984 erstmals europäischen Boden betritt. In Paris taucht er noch tiefer in die Welt der Bordeaux-Weine ein und ein Jahr später fällt der Entschluss zur Gründung eines Europa-Ablegers von Wine Spectator – ebenda und unter künftiger Führung von James Suckling himself. Neben Bordeaux-Weinen gilt sein Hauptaugenmerk fortan der italienischen Weinwelt. Allen voran die Weine der Toskana werden nun der US-amerikanischen Leserschaft des Wine Spectator nahegebracht und erleben darüber einen enormen Aufschwung jenseits des Atlantiks.
Der Cigar Aficionado
1987 zieht Suckling für den Wine Spectator weiter nach London. Dort vertieft er nebenher seine zweite große Leidenschaft: Zigarren. Verleger Marvin R. Shanken hebt schließlich 1992 das Lifestyle-Magazin Cigar Aficionado aus der Taufe und besetzt den Posten des Chefredakteurs mit seinem besten Mann: James Suckling. Im Auftrag des Cigar Aficionado reist Suckling fortan regelmäßig nach Kuba, entdeckt, bespricht und bewertet die besten Zigarren des karibischen Inselstaats. Die Begeisterung für den kultiviertesten aller Tabakgenüsse bewahrt er sich bis heute und empfiehlt bei seinen Weinbesprechungen auch mit Vorliebe die jeweils passende Zigarre.
Aufstieg zur Toskana-Koryphäe
Die Faszination der italienischen Weinwelt hatte Suckling nach seinen ersten Eindrücken in Mitte der 80er-Jahre nie mehr losgelassen. Zu Beginn der 2000er-Jahre lässt er sich schließlich in der Nähe von Florenz nieder. Es ist jener Zeitabschnitt in der Suckling-Biografie, in der sein Nimbus als weltweit führender Experte für toskanische Weine begründet wird. Spätestens an diesem Punkt hat sich das persönliche Konkurrenzverhältnis zu Robert Parker für jedermann sichtbar ausgebildet. Gilt Parker in dieser Zeit noch als unbestrittene Koryphäe für Bordeaux-Weine, ist James Suckling jetzt die oberste Instanz für die großen Klassiker im Chianti Classico, in Montalcino und Montepulciano – und für die Supertoskaner, nicht zu vergessen.
Neustart mit JamesSuckling.com
Die Weinwelt staunt nicht schlecht, als James Suckling im Jahr 2010 seinen vollkommen überraschenden Abschied vom Wine Spectator erklärt. Gerüchte, dass es sich um einen Rückzug aus dem Geschäft handelt, werden schnell widerlegt. Gemeinsam mit seinem Sohn Jack stampft er noch im selben Jahr das Internet-Magazin JamesSuckling.com aus dem Boden und legt damit den Grundstein für einen beispiellos erfolgreichen Neustart. Von Beginn an präsentiert die Website neben Weinkritiken und -besprechungen auch journalistische Berichte als Videoinhalte. Gerade mit diesem neuen Format bringt Suckling, Weinkonsumenten hautnah an die Weingüter, Winzer und andere Persönlichkeit der Weinbranche. Gleichsam informative wie unterhaltsame Gespräche, sachkundige wie pointierte Empfehlungen bilden die großen Trümpfe von JamesSuckling.com und tragen dem Magazin schließlich weltweite Popularität ein. Inzwischen zählt die Website durchschnittlich 600.000 Unique Vistors pro Jahr, dazu kommen vier Millionen Follower auf dem hauseigenen YouTube-Kanal.

Seit 2010 existiert das Internet-Magazin JamesSuckling.com
Das Team um James Suckling
Natürlich sind die zahlreichen Aufgabenfelder, insbesondere die enorme Anzahl von Verkostungen, nicht mehr von James Suckling allein zu bewältigen. Ein handverlesenes Team von Profiverkostern, darunter inzwischen ebenso prominent gewordene Namen wie Stuart Pigott, Zekun Shai, Aldo Fiordelli und Jacobo García Andrade, testet und bewertet jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Weine. James Suckling ist derweil immer häufiger im asiatischen Raum anzutreffen, wo er inzwischen auch gastronomischen Projekten nachgeht. Sein ungeheures Weinwissen aus rund 250.000 Weinverkostungen vermittelt er auf Live-Veranstaltungen wie auch im digitalen Raum. So etwa im Rahmen seiner „Masterclasses“, in denen er professionelles Weintesten und Degustieren lehrt und die Zusammenhänge zwischen Rebsorten, Terroirs und Vinifizierung erklärt. Gemeinsam mit seiner Frau Mary Kim Suckling, die sich bei JamesSuckling.com um Management-Aufgaben kümmert, pendelt Suckling zwischen seinen Wohnsitzen in Kalifornien, der Toskana und Hongkong.
Die 100-Punkte-Skala des James Suckling.
Wie die meisten Weinkritiker arbeitet auch James Suckling mithilfe einer 100-Punkte-Bewertungsskala. Im Unterschied zum Wine Advocate, der das einst von Robert Parker eingeführte System ebenso unverändert zur Grundlage nimmt, bewertet Suckling jedoch keine Weine, die ihm nicht mindestens 90 Punkte wert sind. 95- bis 100-Punkte-Weine sind bei Suckling „must buy“. Es sind demzufolge Weine, die man unbedingt probieren bzw. kaufen sollte. Mit diesen Weinen macht der Käufer laut Suckling „alles richtig“. 90- bis 94-Punkte-Weine sind nach Suckling „outstanding“ – das meint bei ihm herausragend oder mindestens überdurchschnittlich. Es handelt sich also um Weine, bei denen man, vereinfacht gesagt, nichts falsch machen kann, die also bedenkenlos gekauft werden können. Suckling sagt: „Ich trinke sie selbst gerne“.
In der Gewichtung zeigt sich bei Suckling, im Unterschied zu anderen Kritikern, dass die Verkostung im Mund bei ihm eine relativ höhere Bedeutung gegenüber optischen („Auge“) und olfaktorischen („Nase“) Eindrücken genießt. Bis zu 15 Punkte entfallen auf die Betrachtung des Weins im Glas und bis zu 25 Punkte sind ihm die sich an der Nase entfaltenden Aromen wert. Die restlichen bis zu 60 Punkte werden für den Eindruck an Mund- und Gaumen verteilt, wobei bis zu 25 Punkte der Struktur des Weins gelten und bis zu 35 Punkten den Gesamteindruck im Sinne der „overall quality“ benoten.
Im Vergleich zum Wine Advocate tendiert Suckling zu einer marginal besseren Bewertung – zumeist in einer Varianz von ein bis zwei Punkten. Einen gewissen Ausgleich findet dieser etwas weniger strenge Ansatz darin, dass der Kritikerkonkurrent – in Kontinuität zu Robert Parker – im höheren 80 Punkte-Bereich noch von „guten Weinen“ spricht, während Suckling diese erst gar nicht mehr empfiehlt.
Suckling vs. Parker – der El Classico der Weinwelt
Nach dem Rückzug von Robert Parker im Jahr 2012 findet der einst persönlich ausgetragene Wettstreit um die Kritikerkrone inzwischen auf institutioneller Ebene statt – zwischen Parkers Fackelträgern beim Wine Advocate und dem Team bei JamesSuckling.com. Dennoch ist es zumindest retrospektiv angemessen, die beiden „Weinpäpste“ noch einmal in den direkten Vergleich zu stellen. Auf den ersten Blick sind die Unterschiede nicht groß (gewesen). Das betrifft die unbestrittenen Fähigkeiten beider Männer und ihren Ruf als renommierte Kritiker mit beispielloser Erfahrung. Beide standen und stehen für ein herausragendes Gespür für das Potenzial von Jahrgängen und sowie für transparente Bewertungsmaßstäbe, im Wege einer 100-Punkte-Skala.
Die Unterschiede sind eher im Detail auszumachen. Robert Parker könnte man rückblickend den Vollblut-Weinkritiker nennen, mithin den Begründer dieser speziellen Zunft. James Suckling hingegen war und ist seit je her ein Wanderer zwischen Journalismus und Kritik. Während Parker als Mastermind für französische, insbesondere für Bordeaux-Gewächse stand, schlug Sucklings Herz schon früh und zuvorderst für Italien. Ein Unterschied ist auch in Haltung und Gestus zu konstatieren. Gab sich Robert Parker eher im Sinne des diskreten „Advokaten“, drängte es James Suckling schon immer auf die Bühne, wo sich der eloquente Entertainer bis heute auch äußerst wohlfühlt. Was schlussendlich bleibt: Sowohl Robert Parker als auch James Suckling stehen, trotz andauernder Kritik an ihrem enormen Einfluss auf die Weinmärkte, für ein übergroßes Lebenswerk im Dienste der weltweiten Weinkultur.