Sauternes: edelsüße Weißweine aus dem Bordelais

Am 29. April 2025 · von Stefan Behr

Restsüße Weine sind nicht jedermanns Sache und liegen auch nicht unbedingt im Trend. Süßweine aus Sauternes sind allerdings ein Thema für sich; sie pfeifen auf den Zeitgeschmack und schreiben lieber selbst Geschichte – und das seit Jahrhunderten. Dieser Artikel berichtet über das kongeniale Zusammenspiel zweier Flüsse, die unheimliche Zauberkraft eines Schädlings und Legenden der Weingeschichte.

Wo liegt das Sauternes?

Der Name Sauternes ist einer so lautenden Ortschaft entlehnt, die rund vierzig Kilometer südlich von Bordeaux liegt und damit zu der Weingroßregion Graves zählt, die wiederum im Norden direkt an die urbanen Ausläufer der Atlantik-Metropole stößt.

Die das kleine Dorf Sauternes umgebende gleichnamige Region reicht im Osten an die Ufer der Garonne und wird im Westen von deren Nebenfluss Ciron begrenzt. Auf der Landkarte zeigt sie sich als ein Keil, der sich zwischen die beiden Flüsse schiebt. Genau diese besondere Lage liefert eine wichtige Erklärung, warum gerade hier Süßweine von Weltrang entstehen können, doch diese soll erst später Erwähnung finden.

Sémillon, Sauvignon und Muscadelle: Sauternes Rebsorten

Sauternes ist zugleich eine geschützte Herkunftsbezeichnung, und zwar exklusiv für eben jene weltberühmten, hochkonzentrieren Süßweine – die Rede ist von der AOC Sauternes. Die Rebsorten sind hier klar definiert: Sémillon, Sauvignon Blanc und Muscadelle, in der Praxis zumeist auch in dieser Reihenfolge priorisiert. Die Vorschriften für die Herstellung der Sauternes-Weine ähneln jenen, die man in Deutschland für Beerenauslese vorsieht. Unter anderem gilt eine strenge Ertragsbeschränkung von 25 Hektoliter pro Hektar Rebfläche, was im Ergebnis bedeutet, dass ein Rebstock nicht mehr als drei Gläser Wein füllen wird.

Die Appellation umfasst die Gemeinden Sauternes (klar), Barsac, Fargues, Bommes und Preignac. So weit, so übersichtlich, aber Achtung: Wir befinden uns im Weinland Frankreich, wo sich bekanntlich nicht alles stets von selbst erklärt. Die Ortschaft Barsac befindet sich nämlich nördlich des Ciron und damit streng genommen außerhalb der geografisch definierten Region Sauternes. Den dort ansässigen Winzern ist es jedoch belassen, ob sie Ihre Weine als Erzeugnisse aus der AOC Sauternes kennzeichnen oder die Herkunft Barsac herausstellen möchten. Ein Barsac darf also von Rechts wegen sagen, er sei ein Sauternes, während ein Sauternes nicht behaupten darf, ein Barsac zu sein – auf die Idee würde allerdings auch keiner kommen.

Sauternes: einst populär – heute legendär

Nun aber zur Geschichte: Bis weit im 19. Jahrhundert galten edelsüße Weißweine nicht als eine selektive Spielart, sondern als weithin populäre Stilistik. Und anders als beispielsweise an Rhein und Mosel stellten die Süßweine im südlichen Bordelais nicht nur die seltene Kirsche auf der Sahne dar, vielmehr galt ihnen auch mengenmäßig das Hauptaugenmerk der regionalen Winzer – die allermeisten von ihnen hatten sich gar exklusiv darauf spezialisiert. Die Süßweine aus Sauternes erfreuten sich seinerzeit überdies eines exzellenten Rufs bei den Bordelaiser Weinkaufleuten. In der Folge wurden die regionalen Weine darum auch im Rahmen der Bordeaux-Klassifikation von 1855 berücksichtigt.

Und damit kommen wir zu einem Namen, an dem im Sauternes kein Weg vorbeiführt: Château d’Yquem

Einst Klassenbester, heute Ikone: Château d’Yquem

Das Fundament des berühmten Château d’Yquem wurde auf dem höchsten Punkt der Appellation gegossen. 86 Meter über Normalnull klingen auf Anhieb nicht sehr erhaben, bei genauerem Hinsehen jedoch versteht man: Es handelt sich um einen Thron, der alles überragt. Um einen Spitzenplatz, über dem nur noch der Himmel schwebt: Premier Grand Cru Classé Supérieur. Die Betonung liegt auf „Supérieur“, einem wortwörtlich einzigartigen Gütesiegel. Nicht Mouton, nicht Lafite, nicht Margaux, sondern Château d’Yquem ist das höchst klassifizierte Erzeugnis der Bordelaiser Weinwelt. Nun darf heute über die objektive Aussagekraft der Klassifizierung von 1855 gewiss gestritten werden, am Denkmal von Château d‘Yquem zu rütteln, wäre jedoch so unangemessen wie vergeblich. 100 Hektar Rebfläche für 1000 Flaschen Wein pro Jahrgang. Ein Rebstock für ein Glas. Stoff, aus dem Legenden gemacht werden.

Château d’Yquem 1er Cru Supérieur Sauternes 2019
Weinempfehlung
Château d’Yquem 1er Cru Supérieur Sauternes 2019
d’Yquem
WeißweinSauvignon Blanc, SémillonBordeaux

Der Zauberpilz: Botrytis cinerea

Doch damit nicht genug: Elf weitere Premier Grand Cru Classé sowie vierzehn Deuxième Crus – einschließlich der Gewächse aus Barsac – zementieren den unbestrittenen Weltruhm der Süßweine aus Sauternes. Höchste Zeit, diesem Phänomen auch mit einem Schluck Naturwissenschaft auf den Grund zu gehen.

Der Schlüssel für die so außergewöhnliche Spezialisierung des Gebiets ist das beständige Wechselspiel aus Frühnebeln und nachmittäglicher Sonne, das am Zufluss des kälteren Ciron in die wärmere Garonne ideale klimatische Bedingungen für die Entwicklung der sogenannten Botrytis cinerea schafft – auch Grauschimmelfäule genannt. Dabei handelt es sich um einen Sporenpilz, streng genommen um einen Parasiten, der die Schalen der Beeren systematisch durchlöchert, was zur Verdunstung von Wasser und in der Folge zu einer starken Konzentration von Zucker, Säuren und Extrakten führt. Mit anderen Worten: Was zunächst nach der Vernichtung ganzer Ernten und Winzerexistenzen klingt, entfaltet in Sauternes wahre Zauberkräfte.

Im Ergebnis entstehen goldfarbene, honigartige Weißweine von beispiellos intensiver Aromatik, die fast unbegrenzt alterungsfähig sind. Vor allem der Sémillon findet auf den kiesigen Böden mit Tonkalk-Untergrund das ideale Terroir, um die notwendige Überreife zu erreichen, ohne die sich der Botrytis-Pilz nicht entwickeln kann.
Pures Gold.

Auf Château d’Yquem werden bis zu 120 Erntehelfer eingesetzt, um in mindestens zehn Durchgängen ausschließlich jene edelfaulen Beeren auszulesen, die die gewünschte Konzentration in sich tragen. Aber auch auf den zahlreichen weiteren Spitzenweingütern im Sauternes wird ein enormer Aufwand betrieben, um den hohen Erwartungen von Süßwein-Liebhabern auf der ganzen Welt zu entsprechen.

In der Regel werden hochklassige Sauternes-Weine bis zu vier Jahren im Eichenholzfass ausgebaut und währenddessen regelmäßig abgestochen und umgefüllt. Platzhirsch d’Yquem gönnt sich sogar den Luxus, in Botrytis-armen Jahrgängen einfach auszusetzen, zuletzt war das 2012 der Fall.

„Pures Gold“ ist eine der meist bemühten Attribute, wenn es darum geht, das magische Elixier von Spitzenweingütern im Sauternes zu beschreiben. Naturgemäß hat ein derartiger Anspruch und das darauf fußende, geradezu extreme Qualitätsstreben der Winzer seinen Preis. Wer sich diesem einzigartigen Weinerlebnis dennoch öffnen möchte, wird reich belohnt: mit einem unvergleichlich intensiven Nektar von enormer Kraft und Fülle.

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