Wenn neues Leben erwacht: Frühjahr im Weinberg

Am 14. April 2023 · von Sven Reinbold

Im Weinberg ist von Müdigkeit im Frühjahr keine Spur. Auch der Winzer kann über Langeweile nicht klagen, wie Weinfreund Sven Reinbold in seinem zweiten Teil über die Arbeit im Weinberg zu erzählen weiß.

Einem bekannten Volkslied zur Folge setzt im Märzen der Bauer seine Felder und Wiesen in Stand. Für den Weinbauern und seine Weinberge gilt das natürlich ebenso. Bereits im Februar hat er durch das Beschneiden der Rebstöcke bestimmt, welche Fruchtruten und Augen die Trauben des neuen Jahres hervorbringen. Wie im ersten Teil der kleinen Reihe über die Arbeit im Weinberg beschrieben, legt der Winzer auf diese Art fest, wie viel Triebe die Rebe ausbildet, an denen später die Trauben wachsen.

Blutiger Startschuss: f­­unkelnde Wundpflege der Reben

Weinrebe beschneiden

Auch im Frühjahr müssen Teile der Weinrebe beschnitten werden

Sobald die Temperaturen wieder steigen und sie der Pflanze signalisieren, dass es mit dem Wachstum bald losgeht, legt als erstes die Wurzel die Winterruhe ab und beginnt wieder, Saft und Kraft in den Stamm zu transportieren. Was nun passiert, nennen die Winzer „bluten“, weil an den Schnittflächen der Fruchtruten ein besonderes Sekret austritt. Für sie ist es das eindeutige Zeichen dafür, dass es nun im Weinberg wieder losgeht. Das austretende Sekret ist eine Mischung aus Wasser, Salzen und Stickstoff sowie Zucker. Wenn in diesen Tagen die Sonne auf die Rebflächen fällt, funkelt es tausendfach dank der kleinen, wässrigen Tröpfchen.

Das Sekret hat eine desinfizierende Wirkung und schützt die Schnittfläche an den Trieben vor Infektionen. Die blutende Rebe betreibt also Wundpflege. Und diese heilsame Wirkung gilt nicht nur für den Weinstock: Hildegard von Bingen empfahl diesen ersten Rebsaft als Heilmittel gegen Hautkrankheiten.

Vorsicht Frostgefahr: Alarmzustand im Frühjahr

erste Früchte an Weinrebe

Bereits im April zeigen sich die ersten Ansätze der späteren Früchte

Der Startschuss für das Pflanzenwachstum ist gleichzeitig die mahnende Erinnerung an den Weinbauern, noch einmal zu überprüfen, ob die Drähte und Pfeiler intakt sind, die später die Reben und Trauben stützen. Denn jetzt – etwa im März – geht alles ganz schnell. Bald schon werden die Knospen das erste Grün hervorbringen und nur wenig später – meist im April – zeigen sich bereits die Ansätze für die späteren Fruchtstände. „Traubengescheine“ nennen die Winzer diese Miniaturtrauben.

Allerdings ist diese Phase im Frühjahr auch eine sehr sensible. Sollte jetzt noch ein starker Frost kommen, erfrieren die Knospen und Triebe oder nimmt gar der ganze Rebstock Schaden. Verlieren die Pflanzen ihre jungen Triebe, kann dies für den Winzer einen totalen Ernteausfall bedeuten – viele Monate bevor die Lese überhaupt ansteht. Insbesondere die Jahre 2016 und 2017 waren reich an solch bösen Überraschungen für Winzer und Reben, was die deutlich gesunkene Erntemenge in Europa erklärt.

Mit großen Ventilatoren, die die Luft verwirbeln, damit sich der Bodenfrost nicht absetzt, haben es die Weinbauern versucht. Mit vielen kleinen Feuern im Weinberg und sogar mit Helikoptereinsatz wollten sie sich des Frostes erwehren. Doch leider gelingt dies nicht immer und viele Winzer können sich erst gar nicht diesen Aufwand leisten. So darf man in diesen Breiten tatsächlich erst mit den Eisheiligen Mitte Mai einen verbindlichen Seufzer der Erleichterung ausstoßen.

Keine Langeweile im Frühjahr: vom Austrieb zum Ausbrechen

Knospen der Weinrebe

Im Frühjahr kommen die ersten Knospen an den Weinreben durch

Wenn aus den Knospen das erste Blattgrün aufspringt und die Traubengescheine heranwachsen, spricht der Winzer vom Austrieb. Zu lange darf er sich jedoch nicht an dem einzigartigen Anblick erfreuen, den das erwachende Leben im Weinberg stiftet. Der Boden ist noch zu bearbeiten, um eine bestmögliche Versorgung der Rebstöcke mit Nährstoffen zu gewährleisten und vor allem geht es an die „Erziehung“ der Rebe und ihrer neuen Triebe. Und dabei ist eine gewisse Eile geboten. Mit der Reberziehung sind verschiedene Methoden gemeint, das Wachstum des Laubs und der Trauben zu steuern. Dafür werden die Triebe an Drähte oder Pfähle gebunden, um die Blätter optimal der Sonne zuzuwenden und die Trauben zu schützen.

Bislang hat der Rebstock von seinen Reserven im Stamm gelebt. Sobald das Weinlaub nun aus Sonnenlicht neue Energie herstellt, verstärkt sich noch einmal das Wachstum der Pflanze. Deshalb gilt es die Triebe und Augen rechtzeitig zu kontrollieren. Aus mancher Knospe wachsen manchmal zwei Triebe: einen muss der Weinbauer „ausbrechen“, damit sich die Kraft auf nur einen konzentriert. Je später dies geschieht, desto stärker wird die Rebe dabei „verletzt“ und geschwächt.

Als nächstes achtet der Winzer darauf, dass sich die Triebe nicht zu nah stehen und in die richtige Richtung wachsen. Triebe, die sich gen Boden neigen, werden dabei gleichfalls entfernt. Diese Arbeit steuert auch die weitere Entwicklung der Blätter. Das Laub soll sich bestmöglich verteilen, um die meiste Energie aus den Sonnenstrahlen zu holen. Wie die Triebe dabei geführt werden, hängt maßgeblich vom verwendeten Erziehungssystem ab.

Geputzte Stamm-Daten und sensible Blütezeit

Stamm der Weinrebe

Die Arbeit am Stamm der Rebe ist ebenfalls von hoher Relevanz

Auch der Stamm der Rebe wird im Frühjahr noch einmal gesondert begutachtet, um im eigentlichen Wortsinn Auswüchse zu verhindern. Alle Triebe, die nicht dem Ausbilden der Trauben dienen, entfernt der Weinbauer. Beim Wein tragen nämlich nur die neuen Triebe Früchte, die auf älteren Trieben stehen. Die älteren Triebe selbst verholzen ohne Fruchtausbildung. Das Putzen der Stämme, wie der Winzer es nennt, dient damit ebenfalls der Konzentration aller Kraft auf die Triebe, die die Trauben tragen.

Inzwischen ist es Mai geworden und die Weinberge stehen kurz vor der Blüte. Während dieser Zeit bedarf es allerdings keiner Insekten, um für die Befruchtung zu sorgen. Wein ist ein Selbstbefruchter, so dass bereits ein wenig Wind ausreicht. Aber bitte nicht zu viel Wind, wenn möglich auch keinen Regen oder extreme Temperaturen. Die unscheinbare Weinblüte, die aus dem Gescheine hervorgeht, ist nämlich ein außerordentliches Sensibelchen. Gehen die Blüten verloren und werden weniger befruchtet, so wachsen auch weniger Trauben heran. Bezeichnenderweise nennt man im Weinbau diesen Verlust der Weinblüten „Verrieseln“.

In den kommenden Monaten bis zur Lese verfolgt der Winzer das Wachstum der Trauben mit voller Aufmerksamkeit. Es gilt sie vor Schädlingen und Krankheiten zu bewahren, sie durch die Trockenheit und den Sommerhagel zu bringen. Dieser heißen Jahreszeit im Weinberg widmet sich ausführlich der dritte Teil der Serie.

Roséweine bei Weinfreunde

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