Nase an Großhirn: über Aromen im Wein

Am 6. August 2025 · von Stefan Behr

Aroma. Ein so simples wie vertrautes Wort – und geradezu unumgänglich bei der sensorischen Beschreibung von Weinen. Aber geht es uns nicht vielleicht doch allzu leicht über die Lippen? Wissen wir wirklich, was genau damit gemeint ist? Können wir Aroma trennscharf von Duft und Geschmack abgrenzen? Und wer kennt den Unterschied zwischen primären, sekundären und tertiären Weinaromen?

Wie so oft lohnt zunächst der Blick ins Lexikon. Der Begriff „Aroma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet schlicht „Gewürz“. Das ist nice to know, aber wenig hilfreich. Aber dann: „Aroma ist ein Erzeugnis stofflicher Natur. Im Wein kann eine sehr große Anzahl von Aromen gebunden sein (…). Die im Aroma enthaltenen Aromastoffe können im Mund-Nasenraum des Menschen eine Sinneswahrnehmung auslösen.“ Vielen Dank! Somit wollen wir vorangestellt festhalten: Das in einem Wein stofflich gebundene Aroma verleiht ihm sein spezifisches Duft- und Geschmacksbild, das wir an Nase und Gaumen sinnlich wahrnehmen!

Was sind Weinaromen?

Wissenschaftler schätzen, dass bis zu 7000 unterschiedliche Aromen im Wein gebunden sein können, deren 1000 konnten bislang nachgewiesen werden, 94 Aromen gelten als „gängig“. Letztere sind auch im sogenannten Aroma-Rad definiert, mit dem ein standardisiertes (sehr hilfreiches) System zur sensorischen Beschreibung von Aromen geschaffen wurde. Zunächst einmal sind Aromen nichts anderes als chemische Verbindungen. Manche dieser Verbindungen wirken direkt „aromatisch“, andere hingegen liegen zunächst nur als Vorstufen vor und werden erst im Wege der Vinifizierung und Alterung des Weins aromatisch wirksam. Das schlussendliche Aroma eines Weins ist somit immer das Ergebnis des Zusammenwirkens von Naturwissenschaft und Winzerhandwerk. Künstliche Aromen im Wein sind zwar technisch denkbar, jedoch in Deutschland verboten. Es sei denn, dass damit versehene Produkt deklariert sich nicht als Wein, sondern als „weinhaltiges Getränk“.

Wie entstehen Weinaromen?

Das Aroma im Wein entsteht aus chemischen und physikalischen Prozessen in den Trauben selbst, während der Weinbereitung sowie im Wege der Lagerung beziehungsweise Reifung in der Flasche. Grundsätzlich sind also drei Arten der Aromabildung zu unterscheiden:

Primäraromen sind die Duft- und Geschmacksnoten, die direkt aus der Traube oder aus der alkoholischen Gärung stammen – also aus den natürlichen Komponenten der Frucht und ihrer unmittelbaren Umwandlung durch Hefe. Typisch sind fruchtige und florale, manchmal aber auch kräuterige oder würzige Eindrücke, die besonders bei jungen Weinen klar hervortreten. Die meisten Aromastoffe sitzen in den Zellen der Beerenhaut, primär in deren inneren Schichten, deutlich weniger im Fruchtfleisch selbst.

Primäraromen entstehen zwar in der Frucht, sind aber in ihrer Ausprägung stark vom Standort geprägt: Klima, Rebsorte, Wasserverfügbarkeit und auch Bodentypen beeinflussen das Wachstum und damit die Entwicklung aromarelevanter Vorstufen. Während der Gärung werden viele dieser Verbindungen freigesetzt oder umgewandelt. Der Boden wirkt in diesem Sinne indirekt – über seine Rolle im Wuchsverhalten der Rebe, nicht durch direkten aromatischen Transfer. Die oft als „mineralisch“ beschriebenen Eindrücke gehören daher nicht zu den Primäraromen im engeren Sinne, sondern gelten als sensorische Wahrnehmung, deren Ursprung bislang nicht eindeutig geklärt ist.

Sekundäraromen entstehen erst nach der Gärung. Durch gezielte, menschlich gesteuerte Prozesse im Ausbau des Weins. Sie sind das sensorische Ergebnis von Kellertechnik: malolaktische Fermentierung, Hefelagerung (Sur lie), Fassausbau oder mikrooxidative Effekte. Typische Beispiele sind Noten von Hefegebäck, Butter, Toast, Vanille oder Rauch.

Im Gegensatz zu Primäraromen sind Sekundäraromen nicht naturgegeben, sondern Ausdruck bewusster Entscheidungen des Winzers.

Tertiäraromen sind all jene Aromen, die sich nach Abfüllung des Weins in der Flasche ausbilden. Sie entstehen hauptsächlich durch die Reaktion des Weins mit Sauerstoff. Gereifte Weine prägen dabei häufig Noten von gedörrtem Obst, Nüssen, Leder oder Pilzen aus. Tertiäraromen verleihen dem Wein im Zeitverlauf Komplexität und Tiefe, womit die Feststellung zulässig ist, dass ihre verstärkte Präsenz das Merkmal eines besonders hochwertigen Weins sein kann. Nur folgerichtig wächst ihr Einfluss auf das gesamtheitliche Aromaprofil eines Weins, je länger dieser in der Flasche gelagert wird – bis zu einer „optimalen“ Reife, allerdings auch darüber hinaus bis zur Ungenießbarkeit.

Dosage

Tertiäraromen werden nach Abfüllen des Weins in der Flasche ausgebildet.

Orthonasale und retronasale Aroma-Wahrnehmung

Bei der sensorischen Wahrnehmung eines Weins (das Auge lassen wir mal außen vor) kommt es zu einem komplexen, aber auch kongenialen Zusammenspiel von Nase, Rachen und Zunge. Letztere verfügt über erstaunliche 2000 bis 5000 Geschmacksknospen, die allerdings auf nur fünf Geschmacksrichtungen reagieren: süß, sauer, salzig, bitter und Umami. Die ungleich größere Anzahl an Aromen, die einen Wein charakteristisch machen werden jedoch hauptsächlich über den Geruchssinn wahrgenommen. Dabei sind zwei Arten der sensorischen Verarbeitung voneinander zu unterscheiden: die orthonasale und die retronasale Geruchswahrnehmung. Bei der orthonasalen Sinneswahrnehmung, gemeinhin als Riechen bezeichnet, werden Duftstoffe beim Einatmen durch die Nasenlöcher auf direktem Weg zu den Rezeptorzellen im Gehirn transportiert und dort entschlüsselt. Beim Verzehr von Lebensmitteln, mithin beim Genuss eines Weins, kommt jedoch der deutlich komplexeren retronasalen Geruchswahrnehmung eine überaus wichtige Rolle zu. Die beim Kauen und Schlucken freigesetzten Aromastoffe werden hierbei über den Umweg des Mundraums (rückwärts) über den Nasenrachen zur Riechrinne geleitet. Retronasale Gerüche interagieren somit deutlich mehr mit dem Geschmackssinn.

Aromenvielfalt entschlüsseln – mit Nase, Mund und Gehirn

Auf die Bedeutung des retronasalen Geruchssinns verweisen auch Forscher der Universität Yale. Neurowissenschaftler Gordon Shepherd betont etwa, wie wichtig es ist, einen Wein „im Mund zu bewegen“, um seine Aromen maximal zu erschließen. Er spricht dem Menschen dabei auch ungeahnte Fähigkeiten zu und zieht einen erstaunlichen Vergleich zum Hund. Zwar würde der Meisterschnüffler über zehnmal mehr Riechzellen als der Mensch verfügen, doch viel entscheidender sei, „was das Gehirn aus dem Input macht“. In dieser Hinsicht sei der Mensch seinem treuesten Gefährten weit überlegen, argumentiert der Begründer der sogenannten Neuroönologie, die er auch in seinem Buch Neuroenology beschreibt.

Der Geruchssinn ist zudem eng mit dem Emotionszentrum des Gehirns, dem limbischen System, verbunden. In der Konsequenz können gerade auch Wein-Aromen längst verschollen geglaubte Erinnerungen im Handumdrehen wachrütteln, Bilder im Kopf entstehen lassen und Assoziationen zu positiven wie negativen Erfahrungen herstellen. Egal ob Omas Rosenkohl, das Parfum der Ex-Freundin oder das Cassis-Aroma eines Bordeaux – Gerüche lassen uns nie kalt und begleiten uns oft ein Leben lang – bewusst oder unbewusst.

Geruchsinn verfeinern – Weinaromen erschließen

Weinfreunden, die sich dem Thema Aroma im Wein intensiver zuwenden wollen, sei die Anschaffung eines sogenannten Aroma-Sets empfohlen. Dabei handelt es sich um eine Zusammenstellung von beliebig vielen Aromen, die zum Üben und Erkennen von Aromaprofilen unterschiedlicher Weine bzw. Rebsorten genutzt werden können.

Weine bei Weinfreunde bestellen

Wie hat dir der Artikel gefallen?
0 Bewertungen