Lagrein aus Südtirol – wie Phönix aus der Asche

Am 22. Januar 2021 · von Jürgen Overheid

Lange nichts gehört, könnte man zum Lagrein aus Südtirol sagen. Aber Weinfreund Jürgen weiß noch sehr viel mehr über die lange vergessene und jetzt so angesagte Rebsorte zu berichten.

Richtige Entdeckungen sind in dieser Welt rar geworden. Wir kennen schon so vieles und könnten noch viel mehr wissen. Daher erzählen heute jene Dinge die spannendsten Geschichten, die nach langer Zeit im Verborgenen plötzlich an der Oberfläche des Interesses auftauchen. Auf einmal kennt man ihren Namen und man möchte unbedingt mehr wissen.

Eine solche hintersinnige Geschichte erzählt der Lagrein aus Südtirol. Allein der Name scheint wie für eine solche Karriere gemacht. Noch Ende der 1970er Jahre drohte die rote Rebsorte fast auszusterben. Ihr Anteil an den in Südtirol kultivierten Sorten war marginal und hatte eher etwas von Lokalkolorit mit Tradition. International war der Lagrein, der auch auf die Namen Blauer Lagrein, Lagrein Dunkel oder Lagrein Scuro hört, gänzlich unbekannt. Im so großen Weinland Italien schien es keine Zukunft mehr für den Südtiroler zu geben. Es sah nicht gut aus für die vergessene Rebsorte. Doch das Schicksal meinte es gut mit ihr.

Comeback des Lagrein: neuer Wind in Südtirol

Die Winzer der Region begannen in den 1990er Jahren die Zeichen der Zeit zu verstehen und setzen auf mehr Qualität und mehr Originalität. Davon profitierte letztlich auch der Lagrein und feierte seine Wiederentdeckung. Plötzlich war die Rebsorte, die bis dahin zumeist als Verschnittwein zum Einsatz kam, wieder gefragt. Der Lagrein wurde nun vermehrt und mit mehr Zuwendung reinsortig ausgebaut und alsbald folgten die ersten Weine mit zusätzlicher Reife im Holzfass.

Holzfässer

Holzfässer in der Kellerei Girlan – Der Ausbau von Lagrein im Holzfass markiert eine Wende.

Eine Wende, noch ohne große Dynamik und öffentliche Beachtung, doch der Anfang für das Comeback des Lagreins war gemacht. Aus dem Lokalkolorit und der verstaubten Tradition von ehedem wurde plötzlich eine spannende, autochthone Rebsorte und kaum bekannte Weine wandelten sich zu Geheimtipps unter Kennern. Inzwischen ist die Rebsorte zu einem echten Markenzeichen des Trentino, vor allem aber Südtirols geworden. Gerade im Alto Adige ist der Lagrein der rote Bannerträger wachsender Beliebtheit. Welcher Aufstieg – wie Phönix aus der Asche.

So schmeckt Lagrein: körperreich & sanft

Die Begeisterung über den Lagrein ist unmittelbar auf seine geschmackliche Charakteristik zurückzuführen. Die Rebsorte steht für ebenso körperreiche wie weiche, samtige Weine. Aromen von dunklen Beeren, von Pflaumen und Kirsche – ein wenig Veilchen – dazu milde Gerbstoffe und mäßige Säure: so schmeckt Lagrein.

Zu haben ist Lagrein auch in fassgereiften Qualitäten mit größerer Vielschichtigkeit und mehr Sanftmut. Daneben gibt es noch Roséwein aus Lagrein, der in Südtirol auch „Kretzer“ genannt wird. Der Name geht auf die „Kretze“ zurück, das ist der Weidenkorb, der bei der traditionellen Rosé-Herstellung benutzt wurde, um im Zuge der Pressung die Schalen und Stiele zurückzuhalten. Praktiziert wird diese Methode natürlich nicht mehr, aber der Name ist geblieben.

Winzer gefragt: Lagrein unter Aufsicht

Ehemals galt der hohe Ertrag der Rebsorte als großer Vorteil. Doch dieser Vorzug ist heute unter Qualitätsgesichtspunkten ein Nachteil, weshalb beim Lagrein die strikte Hand des Winzers gefordert ist. Direkt im Weinberg gilt es, früh und gezielt Trauben zu entnehmen, um für mehr Konzentration an Aromen zu sorgen. Es braucht diese konsequente Ertragsreduzierung, damit sich der Lagrein zu echten Weinhöhen aufschwingt.

Kellermeister Gerhard Kofler Cantina Girlan

Kellermeister Gerhard Kofler der Cantina Girlan bei der Ernte

Ein strenger Winzerblick ist gleichfalls wichtig, wenn es um eine gute Lage und den richtigen Boden geht. Am besten sind die warmen Lagen mit Kiesböden und hohen Geröllanteilen. Dort bewahrt der Boden die Wärme des Tages auf und gibt sie in der Nacht an Reben und Trauben wieder ab. So liebt es der Lagrein. Übrigens eine Eigenart, die ihn in Zeiten des Klimawandels auch für andere Weinregionen attraktiv macht. So wird beispielsweis bereits an der Mosel ausprobiert, ob der Lagrein auch weiter nördlich seine Trümpfe ausspielen kann.

Wein-Chamäleon aus Südtirol und Trentino

So also die Lage des Lagreins aktuell. Während wir heute jedoch ganz selbstverständlich von der roten Rebsorte Lagrein ausgehen, war das in den ersten Nennungen der Rebsorte ganz und gar nicht so. Ganz am Anfang, das meint 1318, ist zunächst nur von einem weißen Lagrein zu lesen. Erst knapp 200 Jahre später taucht der rote Lagrein in historischen Dokumenten auf. 1525 fordert eine Verordnung für Südtirol auf, man solle in brachliegenden Weingärten „rot lagrein darynnen anlegen“. Seine vermeintliche Herkunft aus dem Valle Lagarina im Trentino hat ihm übrigens den Namen eingetragen. Seine moderne Heimat hat der Lagrein jedoch rund um Bozen.

Weiß oder rosé und rot, vergessen oder absolut angesagt – der Lagrein ist ein echtes Wein-Chamäleon. Wer dem Verwandlungskünstler auf die Genussspur kommen will, braucht ihn selbstverständlich im Glas. Da wissen wir natürlich weinfreundschaftlich Abhilfe zu schaffen.

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